Stadt zum Anfassen (2): Radwege. Gespräch mit Stadtrat Blitz und Stadtrat a.D. Kirchner
Schon mal gefragt, wie Plochinger Radwege entstehen? Oder wer über den Verlauf
entscheidet? Oder über die Farbe des Belags?
Von Konzeption und Planung über Vergabe bis zur Umsetzung bestimmen deine Stadträt:innen
mit. Dabei sind auch deine Hinweise und Ideen gefragt. Mit Dir gemeinsam gestalten wir
unsere Stadt.
Wir sprachen mit Stadtrat Peter Blitz (OGL) und Stadtrat a.D. Kirchner (OGL) über verschiedene Initiativen zur Besserung der Situation für Radfahrende in Plochingen, über Entwicklungen der letzten Jahre und über den aktuellen Stand der Dinge in Sachen Radwegeplanung.
Stefan, wie zufrieden bist Du mit der Situation der Plochinger Radwege ?
Unzufrieden mit dem Ergebnis. Unzufrieden mit dem Vorgehen.
Vor etwa 8 Jahren ist wegen eines tödlichen Radlerunfalls die Einbahnstraßenregelung in einem Teil der Esslinger Straße für Radwege entstanden. Die ist unbefriedigend. Viele halten sich nicht dran.
Es begab sich aber zu der Zeit, da machte sich der Gemeindeverwaltungsverband (GVV) auf, eine Radwegekonzeption zu erstellen. Der GVV ist vor allem dafür da, damit sich die Wege auch treffen. Umsetzung der Radwege und Beschilderungen findet in jeder Gemeinde separat statt. Die Beschilderung war eine riesen Aktion des Landkreises (2020). 48 Maßnahmen wurden zu Papier gebracht, gezählt und als Papier zwischen den Rathäusern bewegt. Daraus wurden auch fünf umgesetzt: Hermannsberg, Lettenäcker und geschätzte 3 Pfosten versetzt.
Der Schutzstreifen auf der Esslinger Straße wurde saniert, aber vom Land; und viele neue Schilder gibt es, vom Landkreis. Ein insgesamt tolles Papier, aber es ist noch nicht viel umgesetzt, da der Rest zwischen Radschnellweg und Move steckengeblieben ist. Mich frustriert, dass viel Mühe für Abstimmung in dem Papier steckt, aber bisher nichts passiert ist. Die Maßnahmen sind oft einfach, werden aber nicht umgesetzt!
Was heißt einfach? Finanziell oder auch technisch?
Technisch und finanziell! Farbei zum Beispiel für Schutzstreifen oder Querungshilfen.
Jetzt kommt noch MOVE dazu.
MOVE ist das “Mobilitäts- und Verkehrsentwicklungskonzept 2035” für die Bewältigung des zukünftigen Verkehrsaufkommens bei gleichzeitiger Sicherstellung der Mobilitätsbedürfnisse im Stadtgebiet Plochingen.
Die Vorbereitungen für das Konzept Move blockieren die Umsetzung kleinerer Projekte. Es wird nicht viel gemacht, da man abwarten will, was bei dem Projekt rauskommt. Move ist die eilerlegende Wollmilchsau – ein riesiges Projekt, das allerdings erst in 10 Jahren oder später und wenn überhaupt mit welchem Erfolg umgesetzt wird.
2020 wurde immerhin schon mal der Radweg von den Lettenäckern Richtung Reichenbach erneuert.
Ist Fahrradfahren hier bei uns einfach nicht so ein Thema? Anders als in Münster, Berlin
oder Kopenhagen?
Es gibt halt Themen, die die Menschen mobilisieren können, wie z.B. in den 1980er Jahren Pershing II in Mutlangen.
In Tübingen, Heidelberg & Mannheim hat sich eine gewisse Kultur fürs Fahrradfahren entwickelt.
Schwachstellen, die bekannt sind, gehören beseitigt! Viele SchülerInnen fahren beispielsweise häufig über die Hindenburgstraße ins untere Schulzentrum!
Woher weiß eine Stadt, wo die Schwachstellen sind?
Das Thema Radfahren ist in unserer Stadtverwaltung nicht weit verbreitet!
Es gibt etwa alle drei bis vier Jahre Radwegebegehungen, bei denen die StadträtInnen teilnehmen.
Auch nach den Ankündigungen kam bisher nicht viel Resonanz. Wir, die OGL, besetzen das Thema weiterhin. Diesen Prozess müssen wir auch über die Stadträt:innen verbessern!
Gibt es bei uns kein zentrales Beschwerdesystem?
Es gibt ein Beschwerdesystem, das allerdings eher dafür benutzt wird, kaputtes Licht zu melden.
Warum bisher noch nicht viel umgesetzt wurde liegt aus unserer Sicht auch an der Verwaltung.
Die Struktur ist ungünstig, da es keinen separaten Ansprechpartner für Radwegplanung und für
die Umsetzung von Radwegen gibt. Es gibt einen Partner für Planung und Koordination:
Der Umweltbeauftragte, der auch Mitglied im Gemeindeverwaltungsverband ist, macht die Planung, wenn er vom Bürgermeister beauftragt wird.
Nachgeschaltet sind das Ordnungsamt, das die Verkehrsrechntliche Prüfung und Umsetzung veranlasst. Zum Beispiel, ob da ein Schild hin darf, da eine Querung etc. und in welcher Farbe. Ebenso das Tiefbauamt, das die Straßenbauarbeiten umsetzt: “Sagt mir was und ich tue es! Aber jetzt habe ich keine Zeit!”
Es fehlt ein “Kümmerer”, der 5% seiner Arbeitszeit bekommt, um sich um Radwege zu kümmern: Was war die Maßnahme, ist die erfolgt? Da ist sich die OGL mit der CDU einig. Auch die Stadtverwaltung teilt unsere Ansicht. Allerdings kommt jetzt auch noch MOVE, wodurch noch mehr Aufgaben anfallen. Jetzt bräuchten wir einen Mobilitätsbeauftragten der MOVE umsetzt.
Das verstehe ich als BürgerIn. Ich sehe oft, wie eine Straße aufgerissen, wieder halb
verschlossen und viel später wieder aufgerissen wird und frage mich, ob man das nicht
besser koordinieren kann.
Ja, aber wenn man darauf wartet, wartet man halt ewig.
Der letzte Frust: Genervt hat mich zuletzt, dass unser Antrag für eine Querungshilfe von der Verkehrskommission als nicht notwendig bezeichnet wurde. Der Antrag wird nochmal aufgerollt.
Wir, die OGL, haben seinerzeit einen Antrag auf Querungshilfe gestellt. Der Antrag wurde in der Ratssitzung angenommen. Anschließend landete er beim Ordnungsamtsleiter, der die Verkehrskommission einberuft. Die besteht dann aus Polizei, Unterer Verkehrsbehörde im Landratsamt (der der ADFC auch angehört) und dem Ordnungsamtsleiter. Die stellten dann vor Ort fest: “Och, das brauchen wir nicht.” — Ohne Begründung!
Und was ist mit dem ADFC?
Das sind alles ehrenamtliche Mittarbeiter, die müssen sich dann extra frei nehmen.
In Esslingen ist das anders: da gibt es Menschen die sich engagieren und Druck machen.
Zum Schluß – Wie kann man trotzdem was in unserer Stadt bewegen, Stefan und Peter?
- BürgerInnen dürfen und können sich bei uns beschweren! Sie können uns alle 5 Jahre wählen und dann sind wir eine bockstarke Fraktion.
- Es braucht politische Gruppierungen und Fraktionen, die diese Themen verfolgen und nachhaken
- Es braucht einen Mobilitätsbeauftragten, der das Gewicht nicht auf Straßenneubau, sondern auf Fahrradwege legt.
- Die BürgerInnen sollten weiterhin ihre Vorschläge, Hinweise und Wünsche, am besten persönlich bei der Stadt einreichen. So signalisieren sie: Wir sind viele!
Das Interview führte Charlotte Kern.
Hintergrund: Geschichte der Radwege
Die ersten uneinheitlichen Wege entstanden in den 1920er Jahren, da die meist mit Kopfsteinen
gepflasterten Wege für Radfahrer ungeeignet waren.
Ende der 1920er Jahre wurden Forderungen laut, dass Radler runter von der Straße sollten. In Zeiten des Nationalsozialismus wurden Radwege mehr gefördert, um die Radfahrer zur Benutzung der Radwege zu disziplinieren. Obwohl das Verhältnis Radfahrer zu Autofahrern 20:3 war. Radwege waren die Straße des kleinen Mannes.
Autofahrer sollten eine sichere, radfahrerfreie Bahn haben!
In den 1950er Jahren fand ein Autofahrerboom statt, bei dem auch Radwege gebaut wurden, aber nur, um die Radler wieder von den Autos fern zu halten. Entsprechend sind die Radwege nicht auf Radler abgestimmt.
Erst in den 1980er Jahren entstand ein Radboom, und 1998 wurden Gesetze verändert, die
Erleichterungen für die Radwege brachten. Seit 2009 müssen Radwege nur gebaut werden wenn ausreichend Platz ist (NRW).
Quelle: ADFC Nordrheinwestfahlen; https://www.adfc-nrw.de/projekte/still-leben-a40/das-laengste-fahrradmuseum-der-welt/station-3-geschichte-der-radwege/geschichte-der-radwege.html